BESPRECHUNGEN ZU ONANS KIRCHEN
DIE WÜSTE LEBT
DIE WÜSTE LEBT
Von Wolfgang Pauser
Kulturphilosoph
Wer Christoph Braendles Bücher kennt, wird mit dem eben bei Czernin erschienenen Roman “Onans Kirchen” eine Überraschung erleben. Denn der Autor hat einen Sprung getan, nicht nur ins ferne Afrika, sondern vor allem stilistisch, als Schriftsteller. Die ersten Publikationen des in Wien lebenden Schweizer Autors wurden im Feuilleton uraufgeführt. Für diese Bühne hatte Braendle sein ganz eigenes Format entwickelt, eine Mischung aus Reportage und Fiktion. Das passte ins Medium Tageszeitung wie eingegossen, wenn es um die Wochenendausgabe ging. Spuren des Handwerks eines Reporters, dem die Phantasie durchgeht, ziehen sich ins spätere Romanwerk, finden sich abgeschwächt auch noch im neuen Buch.
Bisher lebte die Poetik Braendles von der Spannung zwischen reportagehaft trockener Schilderung und merkwürdigem, wenn nicht abstrusem, von dunkler Sinnbildlichkeit überwölbtem Geschehen. Das las sich mitunter spröde, aber so darf – manche meinen sogar soll– Literatur auch sein. In “Onans Kirchen” verlässt der Autor seinen Beobachterposten und berichtet in der Ich-Form des Tagebuchs. Damit springt er gleichsam hinein ins Leben – diese Veränderung bildet sich in seiner gewandelten Sprache ab. Aus der Erzählerposition gelingt ihm das Vernähen des Realen mit dem Fantasierten auf eine nun flüssiger nachvollziehbare Art. Alles Konstruierte und trocken Distanzierte lässt Braendle hinter sich, pilgert nach Afrika (wie Jesus in die für Projektionen der Versuchung so gut geeignete Wüste) und begegnet dort den von Dämonen bewohnten Feuchtgebieten seines Innenlebens.
Hier findet der Polsprung in der Poetik des Autors statt. Trocken ist nun nicht mehr die Schilderung, sondern die Situation des Protagonisten, der zur Untätigkeit verdammt im Nirgendwo feststeckt. Nie wurde Langeweile erregender beschrieben! Ist literarisches Schreiben nicht allemal eine Praxis der Selbsterregung, ebenso wie das Lesen von Literatur? Dann wäre die Literatur selbst eine Art Kirche Onans, ein kunstvoller Bau, in dem so rituell wie hysterisch gegen die Langeweile des Daseins angesprochen wird.
Das afrikanische Tagebuch wird zur Korrespondenz, doch die Geliebte ist fern und der Schreiber sitzt fest im Trockenen, der erotische Dialog ist und bleibt Selbstgespräch, gefangen im Medium Schrift. Nie zuvor hat Braendle so dicht geschrieben, ein solches Feuerwerk an Einfällen gezündet, wie hier, wo er die Wüste beleben muss, um nicht zu versanden. Als Werkzeug dafür hat er die Sprache auserkoren, die nun dem Geschilderten nicht mehr äußerlich bleibt, sondern assoziative und spielerische Eigenrechte eingeräumt bekommt, dass es eine wahre Freude ist. Kaum gibt sich der einsame Schreiber ungehemmt seinen Einfällen hin, wird jeder von ihnen zugleich zum Spracheinfall, zur Lustgeburt einer Formulierung. Ein Autor, der schon viel über die Lust geschrieben hat (zuletzt das “Wiener Dekameron”), entdeckt die Erotik der Sprache. Was für die Vergnüglichkeit des Lesers von “Onans Kirchen” nicht ohne Folgen bleibt.
ONANS KIRCHEN
Von Spunk Seipel
Literaturhaus Wien
26. März 2012
Die Sehnsucht nach dem Anderen oder nach einem höheren Sinn treibt viele Menschen zu Taten, die keinen rationalen Hintergrund haben. Christoph Braendles Held in seinem Buch „Onans Kirchen“ wird von solchen Sehnsüchten getrieben und findet dadurch seinen Untergang. Anders als der Titel erwarten lässt, legt der Autor keinen Masturbationsroman im Stil der „Skandalromane“ der letzten Jahre, sondern einen veritablen Entwicklungsroman vor.
Der Manager P. hatte in Europa einem Freundeskreis angehört, der sich selbst die “Tafelrunde” nannte und neben Karriereplänen vor allem dem Prahlen um weibliche Eroberungen gedient hatte. Eine Stufe der Karriereleiter führt P. nach Zimbabwe, um das Geschäft eines Weltkonzerns im südlichen Afrika zu leiten. Doch der einheimische Manager gibt ihm zu verstehen, dass seine wichtigste Aufgabe ist, sich aus den Geschäften herauszuhalten. Gelangweilt von dem, was Harare ihm bietet, vor allem in sexueller Hinsicht, macht er sich auf eine Reise durch Zimbabwe. P. erlebt die Schönheiten und Gefahren der afrikanischen Natur, gerät mit den einheimischen Weißen wegen deren Rassismus aneinander und findet doch keinen Zugang zu der schwarzen Bevölkerung. Er, der Macher, ist zur Untätigkeit verdammt und wird in einen paradiesischen Garten in Chipinge zum Nichtstun abgeschoben, aus dem ihn eine Frau mit dem Vorwurf einer angeblichen Vergewaltigung wieder vertreibt.
Auf der Flucht landet er durch Zufall in einer Einöde am Rand der Kalahari in Namibia, wo er seine Erlebnisse und Gedanken nicht mehr seinem Tagebuch anvertraut, sondern einen über Jahre hinweg entstehenden Brief an eine ihm unbekannte Frau in Wien schreibt. Er kennt diese Frau nicht, er hat nur durch Zufall eine Zeitungsanzeige von ihr gelesen, dass sie einen reichen Gönner sucht und Wagneropern liebt. P. steigert sich in eine minnenhafte Verehrung, die mit einem tragischen Unfall endet, als er versucht, für seine unbekannte Angebetene einen Diamanten zu suchen.
Körperlich versehrt, findet er seinen Rückweg nach Europa über einen Zwischenaufenthalt als Pfleger in einem Altenheim, wo er die letzten Reste des kolonialen Afrika erlebt, um endlich in Bayreuth bei einer Parsifal- Aufführung seine Angebetene kennenlernen zu wollen.
Braendle gelingt mit „Onans Kirchen“ eine Neufassung des berühmten mittelalterlichen Parsifalstoffs, der schon 1865 von Richard Wagner neuinterpretiert und zu einem sakralen Stoff überhöht wurde. Motive aus dem Parsifal werden neu formuliert: die Tafelrunde, die Verbannung, das Leiden des einsamen P., die Beinahekastration des Helden im afrikanischen Busch durch einen martialischen Initiationsritus, die Minne und vieles mehr. Die Anspielungen sind zahlreich, dabei nur selten platt, und vermischen sich mit genauen Betrachtungen der afrikanischen Welt. Selten kann man so genaue und zugleich lakonische Beschreibungen der Schwierigkeiten vieler Europäer lesen, wenn sie in Afrika Anschluß suchen. Oder von der, entgegen aller Klischees, entsexualisierten Welt des südlichen Afrika. Politik wird in diesem Buch nicht durchexerziert, die Verbrechen eines Diktators wie Mugabe bleiben bis auf einen Nebensatz unerwähnt. Der Romanheld agiert in seiner eigenen Welt.
Es ist nicht unbedingt nötig, den Parsifalstoff zu kennen, wenngleich dies das Vergnügen über die Einfälle des Autors erhöht. Dabei nutzt Braendle, ohne den Namen Christoph Schlingensief und seine gescheiterte Parsifalinszenierung in Bayreuth namentlich zu nennen, die damalige Aufregung in der Kulturwelt und zugleich das Wissen des Lesers von Schlingensiefs Utopie eines Opernhauses in Burkina Faso, um seinen Roman voranzutreiben. War Schlingensief gar der indirekte Ideengeber für dieses Buch? Allein der Titel lässt schon darauf schließen.
Aber auch stilistisch ist es Braendle gelungen, diesen Roman als authentisches Zeugnis einer gescheiterten Suche nach der Verwirklichung einer Minne zu schildern, indem er das Buch in vier Teile gegliedert hat: Zwei Tagebuchabschnitte, einen langen Brief und den Bericht des Sachbearbeiters einer Versicherung, der die drei Dokumente als übriggebliebene Reste eines Verstorbenen sichtet und einzuordnen sucht.
Parsifal im Original ist ein dem heutigen Leser schwer zugänglicher Stoff, und auch Richard Wagners Bearbeitung macht es dem spirituell desinteressierten Leser nicht leichter. Im Gegenteil. Aber die Suche nach dem Anderen, nach einem höheren Sinn des Lebens treibt immer noch viele Menschen an, Handlungen zu begehen, die keinen rationalen Hintergrund haben. Christoph Braendle ist mit „Onans Kirchen“ nicht nur eine neue, lesbare und nachvollziehbare Bearbeitung des Parsifal- und Minnethemas gelungen, er hat auch einen sehr modernen Entwicklungsroman geschrieben.